Sonntag, 31. März 2013
Wie den weiteren Niedergang der SPD verhindern - eine Analyse
25.11.13

Warum droht der ehedem stolzen SPD der Niedergang von einer Volkspartei auf das Niveau einer byzantinischen Politsekte und was können wir jetzt dagegen tun?
Ein historischer Exkurs

von Uwe Lutz, Berlin-Dahlem

Für das Verständnis des nachfolgenden Textes und damit dem Zustand der heutigen SPD ist es bedeutsam, zunächst grob zu klären, was eigentlich links ist und was rechts. Das ist oft schwer auseinanderzuhalten, gerade in der SPD. Als politischer Lackmustest für eine sichere Beurteilung hat sich nachfolgende, verblüffende Beobachtung, gewissermaßen als einfaches „Schätzeisen“, bewährt:
1. Echte Linke zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich bevorzugt mit Stärkeren anlegen.
(So ist auch zu erklären, warum echte Linke eher selten politisch erfolgreich sind.)
2. Rechte erkennt man daran, dass sie, auch verbal, gerne Schwächere bekämpfen. Je schwächer und wehrloser ihre Gegner/Opfer sind, desto weiter rechts darf man sie einordnen.

Mit Hilfe dieser einfachen Zusammenhänge läßt sich nachweisen, dass Erfolge oder Desaster der SPD in einer direkten Abhängigkeit vom ihrer politischen Grundausrichtung in der jeweiligen Zeitspanne stehen (klar links oder rechts bzw. „Mitte“). Die SPD-Politik der letzten 150 Jahren wird hierzu in 6 prägnante Phasen eigenteilt. Aus der Bewertung dieser Phasen wird in weiterer Folge eine historische Begründung für den derzeitigen desolaten Zustand der Partei geliefert, ein Ausweg aus der derzeitigen Lage (Krise) abgeleitet sowie eine Handlungsempfehlung für die Mitgliederbefragung zur Koalition mit der Union ausgesprochen werden.

1) 1863 - 1888
In den ersten 50 Jahren, von 1863 bis 1913, war die Partei Lassalles und Bebels klar eine linke Partei, v.a. durch die aktive Beeinflussung durch Marx und Engels. Man legte sich damals bevorzugt mit den Starken an, zunächst mit Bismarck, der uns sogar die Ehre der eigens für uns geschriebenen Sozialistengesetze erwies. Er plante, Sozialdemokraten sogar auszubürgern. Zudem erwartete man bis Bebel jederzeit die Revolution, das Land sollte der Sozialdemokratie wie eine reife Frucht in den Schoß fallen. Und Bebel hätte sie dann angeführt, eine proletarische, sozialdemokratische Revolution.
Wir prüfen die Behauptung mit dem o.a. politischen Schätzeisen: Das war klar ganz links, was sonst!

2) 1888 - 1914
Da die Revolution aber auf sich warten ließ, wandelte sich die Partei nach 1888 in der 2. Hälfte des 50-Jahre-Zeitraums allmählich von der Arbeiter- zur Facharbeiterpartei, sie wurde immer bürgerli-cher. Dieser Trend wurde auch seit 1888 durch den neuen, jungen Kaiser befördert, der nicht mehr ganz mit der Bismarck‘schen Schärfe gegen die SPD auftrat (Das Sozialistengesetz war 1890 aufgehoben). Als Bebel 1913 starb, war die SPD eine in Teilen bereits bürgerliche, staatstragende Partei geworden. Dies zeigte sich ganz markant bereits ein Jahr später, 1914, mit der Bewilligung der Kriegskredite. Auch der Kaiser, inzwischen nicht mehr ganz so jung, war ob dieser erfreulich staatstragend gewordenen SPD ganz begeistert und kannte keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche.
Das politische Schätzeisen gibt hier keine eindeutige Indikation, ob dies 1914 eine linke oder rechte Politik war. Kriegsbegeistert waren damals in den beteiligten Ländern fast alle, Linke wie Rechte. Ergebnis der Prüfung: Indifferent, zwar noch nicht rechts aber schon nicht mehr links. Ebert als Nachfolger von Bebel hatte seine Arbeit, die SPD umzupolen, noch nicht vollendet.

3) 1914 - 1933
Immer wenn sich die SPD staatstragend gibt, bei gleichzeitiger Ausblendung ihren Urwerte, dann begibt sie sich in schweres politisches Fahrwasser, ihre Existenz ist bedroht. Zunächst wird der linke Flügel unruhig, so geschehen 1914 und 1915, als ein nicht unwesentlicher Teil der Partei die Zustim-mung zu Krieg und Kriegskrediten als Verrat empfand. Der Riss zwischen der linken Minderheits-SPD (die Kriegsgegner) und der rechten Mehrheits-SPD (die Staatstragenden) vertiefte sich in mehreren Schritten immer weiter, bis es schließlich 1917 zur endgültigen Spaltung der Partei kam. Als 1918 im Zuge der November-Revolution Friedrich Ebert an sich erfreulicherweise zum ersten sozialdemokratischen Reichskanzler ernannt und vom Rat der Volksbeauftragten auch noch zum Revolutionsführer gewählt wurde, zögerte er keine Sekunde, schon wieder vermeintlich staatstragend zu sein. Dabei hat er in der ganzen Revolutionsaufregung den Staat, den er eigentlich tragen sollte, die neue, demokratische, deutsche Republik mit dem alten, reaktionären Ständestaat verwechselt und ist sofort und unerbittlich gegen diese sozialdemokratische Revolution vorgegangen. Gegen die Interessen seiner eigenen Klientel, das bereits untergegangene, reaktionäre Staatswesen schützend. Aber es kam noch viel schlimmer und unerträglicher für Sozialdemokraten aller Flügel. In den nächsten 1 ½ Jahren ging Ebert im Kampf gegen die sozialdemokratische Revolution jedes Bündnis mit den jeweils gerade verfügbaren, konservativen und völkischen Feinden der jungen, republikanischen Demokratie und mit großbürgerlich-adligen Verteidigern der alten Ordnung ein. Von ihnen und mit ihrer Hilfe ließ er die linken, sozialdemokratischen Verteidiger der neuen Ordnung auch mit roher Waffengewalt gnadenlos verfolgen und niederkämpfen, seine eigene Anhängerschaft.
Wir holen an dieser Stelle wieder das politische Schätzeisen heraus: Wie würde man jemanden ein-ordnen, der sich mit rechtsradikalen und monarchistischen Soldaten verbündet und bewaffnete Arbeiter bekämpft, die die neue, sozialdemokratische Ordnung verteidigen wollen? Die Einstufung “rechts“ ist da schon fast euphemistisch.
Diese „staatstragende“ Politik der damaligen SPD-Führung hat den vollkommen nachvollziehbaren, unbändigen Hass der USPD/KPD-Anhänger verursacht, der bis heute als Nachbeben im Umgang zwischen SPD und Gysis Linken noch für jeden unschwer erlebbar ist. In der Folgezeit sind Arbeiter und Unterprivilegierten von der SPD abgewandert in Richtung KPD oder NSDAP, die SPD bekam bei jeder der nachfolgenden Wahlen weitere Denkzettel für ihre anhaltend rechte Politik verpasst. Die KPD legte entsprechend zu, die SPD-Führung konnte sich nicht zu einem Kurswechsel entschließen.
Als dann 1933 die Nazis an die Macht kamen, hätte die Republik wieder Hilfe in Form einer Volksmarinedivision oder Roten Ruhrarmee (die Ebert erbarmungslos liquidieren ließ) gebrauchen können. Es ist verständlich, dass dann nicht mehr viele da waren, die ihr Leben unter einer solchen Führung erneut für die Republik aufs Spiel setzen mochten.
Interessante Fußnote der Geschichte I: Willy Brandt trat 1931 aus dieser SPD aus und in eine linke Splittergruppe ein (man vergleiche die Parallele zu Oskar Lafontaine).

4) 1933 - 1945
Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.01.1933 stellt symbolisch den Zeitpunkt des Endes der rechten Ebert-Politik und ihrer politischen Nachwirkungen dar. Kurz darauf am 24.03.1933 be-gann aber mit der beispiellos mutigen Verweigerung der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz durch die komplette SPD-Fraktion im Reichstag eine erzwungene, über 12 Jahre andauernde Phase der Katharsis, in der sich die Partei von der desaströsen Ebert-Linie verabschiedete und sich wieder auf ihre Kernkompetenz besann.
Wir holen an dieser Stelle wieder das politische Schätzeisen heraus: Wie würde man Leute einordnen, die sich in vollem Bewusstsein einer drohenden Todesgefahr mit einem zu allem entschlossenen, damals schon bekannt rechtsradikalen, angehenden Diktator anlegen? Lupenrein links im idealisitischsten Sinne und natürlich auch Sinne der o.a. Definition.
Interessante Fußnote der Geschichte II: Willy Brandt trat bereit 1942 ins diese SPD wieder ein. (Oskar Lafontaine ist in die derzeitige SPD noch nicht wieder eingetreten!)

5) 1945 - 1990
Nach 1945 war sie wieder da, die SPD, eine fast schon sozialistische Wiedergeburt. Jetzt gilt es die politische Sonderentwicklung der SPD in der Freiheit Westdeutschlands nachzuvollziehen. Die Wei-terentwicklung und Existenz der SPD im Osten war wegen ihrer Vergewaltigung und Vertilgung durch die pro-sowjetische KPD faktisch beendet und ist daher für die weitere Betrachtung ohne Belang.
Die SPD wurde (im Westen) nun wieder zur Partei, in der sich alle Linken finden konnten, Arbeiter- und Facharbeiter. Die seit den 20er Jahren zulasten der SPD bis 1933 immer erfolgreichere, eigentliche Arbeiterpartei, die KPD/DKP, war politisch desavouiert, weil sich die Westdeutschen in den Medien vom Schicksal der SPD und täglich von den Segnungen des real existierenden SED-Sozialismus selbst überzeugen konnten. Mangels echter Alternative fand sich daher alles, was nicht konservativ oder liberal war, in der SPD zusammen. Später kamen dann viele Bildungsbürger dazu, die SPD entwickelte sich zur Arbeiter-, Facharbeiter- sowie Beamten-, Lehrer- und Intellektuellenpartei. Willy Brandt war inzwischen ihr visionärer und zupackender Vorsitzender und schließlich auch Bundeskanzler geworden, der einzige und letzte mit Lassalle und Bebel vergleichbare Vorsitzende, der dann gut 15 SPD-Regierungsjahre einleitete.
Wir holen wieder das politische Schätzeisen heraus: Wie würde man jemanden einordnen, der die Mitbestimmung und eine erfolgreich Umverteilung von oben nach unten durchsetzt sowie in fast legendärem Ausmaß politisch festzurrt? Links, ohne Wenn und Aber.
Mit Schmidt trat zwar schon wieder rechter Bremser auf, aber der unter Brand erreichte Schwung war so groß, dass die gut 15 Jahre sozialdemokratische Regierungszeit dem ganzen Volk einen enormen Wohlstands- und Freiheitszuwachs gebracht haben. Unter dem letzten, sozialdemokratisch regierenden Kanzler Helmut Kohl (sic!) wurde dann noch die Pflegeversicherung vorbereitet – und dann kam die Wiedervereinigung, der westdeutsche Sonderweg war vorbei, Deutschland muss nun wieder als Ganzes betrachtet werden. Das hatte auch massive Rückwirkungen auf die SPD.

6) 1990 - heute
Im wiedervereinigten Deutschland steuerte die SPD –Führung, kaum war Willy Brandt tot, sofort wieder Friedrich Eberts rechte Überholspur an, um sich klar von der PDS abzusetzen. Das war wieder der gleiche, wahngesteuerte, antilinke Reflex, der schon Ebert umtrieb. Zusätzlich legte sie den Rückwärtsgang ein, wieder in Richtung selbstverleugnende, vorgeblich „staatstragende“ Politik (die übrigens schon damals „alternativlos“ war, wie man heute so schön verlogen sagt). Allerdings waren der SPD nun Eberts Verbündete von einst (Reichswehr, Freikorps, Völkische) abhanden gekommen. Stattdessen verbündete sich der neue Ebert, Gerhard Schröder, mit den heutigen Mächten im Land, den Plutokraten, Nepotisten und Neoliberalen aus Industrie- und Wirtschaftsverbänden. Und fast genauso schnell und unerbittlich wie 1918 nahm Schröder mit seinen rechten Verbündeten den Kampf für eine Neue Soziale Marktwirtschaft und gegen die Unterprivilegierten und die eigene Klientel auf: sie wurden unter ALG I - und ALG II-/Hartz-IV- Kuratel gestellt, um willfährig die Gewinnmaximierung der neuen Herren im Land voranzutreiben. Wir müssen uns auch an dieser Stelle wieder, wie weiter oben schon bei Ebert, fragen, welchen Staat die Schröder-SPD eigentlich tragen wollte. Einen bis dato existierenden, demokratisch verfassten Bürgerstaat im Stil der alten westdeutschen BRD jedenfalls nicht.
Und wie damals in den 20er Jahren verliert die SPD mit dieser Politik eine Wahl nach der anderen, laufen ihr Wähler und Mitglieder weg. Die SPD ist wieder auf eine Partei der Facharbeiter und Lei-tenden Angestellten/Beamten reduziert, der linke Flügel und die Unterprivilegierten haben sich mit Oskar Lafontaine abgespalten und sind zur PDS gegangen, die linken Reste in der SPD sind paralysiert und ohnmächtig.
Wir holen an dieser Stelle wieder das politische Schätzeisen heraus: Wie würde man das einordnen, wenn sich jemand widerspruchslos und mit einer gewisse Genugtuung „Genosse der Bosse“ nennen lässt und der eine bis heute andauernde Umverteilung von unten nach oben in bislang ungekanntem Ausmaß politisch anstößt und durchsetzt? Und der noch heute fast starrsinnig darauf stolz ist? Und der der Unterschicht einen Tritt verpasst, der bis weit in die Mittelschicht hinein schmerzhaft gespürt wird? Und eine Partei, die das goutiert? Links geht jedenfalls anders.

7) Ausblick
Die Ebert-Schröder-Politiker haben unsere Partei noch immer fest im Griff. Fazit: Entweder sie ver-schwinden oder die SPD verschwindet. Sie wird ohne Kursänderung auch diesmal wieder von denjenigen Kräften, mit denen sie sich gegen ihre eigene Klientel verbündet hat, verschlungen werden. Diesmal sind die Feinde aber leider nicht so klar zu erkennen, wie damals die völkischen und großbürgerlich-adligen Kräfte, sondern das geht schleichend. Die Feinde heißen heute Wirtschaftskabinett, EU-Troika, Goldmann-Sachs, Deutsche Bank, EZB, TAFTA-Staatsstreich (Freihandelszone EU/USA) usw. Das Ende wird auch nicht so abrupt wie 1933 kommen, was 1945 immerhin eine Auferstehung einer SPD 2.0 wie Phönix aus der Asche ermöglichte. Mit einer Fortsetzung der Ebert-Schröder-Politik wird sich die SPD in Zeitlupe aus der Weltgeschichte verabschieden, weil ihr die verbliebenen Mitglieder und Wähler einfach wegsterben. Sachsen, das einst rote Sachsen, dem Ebert besonders übel mitgespeilt hat, ist hier Vorreiter, die SPD ist bereits landstichweise unter 10 % angekommen, Tendenz weiter sinkend. Keiner braucht diese selbsternannte, verquere Partei der Mitte, dort nicht und auch bundesweit nicht:

Wer konservativ ist, wählt sicherheitshalber sein Original,
wer grün und friedensbewegt ist, wählt sicherheitshalber lieber auch sein Original,
wer liberal ist, wählt sowieso sein Original,
und wer wirklich links ist, für den gibt’s mit der Linken auch eine Alternative, die er sicherheitshalber wählt.
Eine Ebert-Schröder-SPD braucht es schlicht und einfach nicht.

Ein Ausweg aus dem bevorstehenden, schleichenden Niedergang ist, dass die historische Fehlent-scheidung Eberts, die zu einer Spaltung der vormals erfolgreichen Gesamt-SPD führte, als solche von unserer Partei auch so begriffen und offiziell anerkannt werden muss. Das wäre ein Akt von geradezu Bebel’scher Weitsicht. Dies wäre eine Voraussetzung, die Nachfolger der damaligen Mehrheits- und Minderheitssozialdemokraten zu versöhnen, so wie das die Revolutionäre von 1918/19 und auch große Teile der SPD-Basis immer gewollt haben, und wie das ohne Sowjeteinfluss wahrscheinlich schon 1945 gelungen wäre.
Dies könnte auch die Motivation von Oskar Lafontaine gewesen sein, als er diese Ebert-Schröder-SPD verlassen hat, um mitzuhelfen, im Land wieder eine einige, Sozialdemokratische Partei im Sinne von Lassalle und Bebel zu schaffen. Dies schien ihm vermutlich zusammen mit der quirlig-schrägen Minderheits-SPD (PDS) von links aus leichter erreichbar, als mit der konservativen-trägen Schröder-SPD. Er hat richtig erkannt, dass die heutige SPD keine Zukunft hat. Unsere Führung war immer der irrigen Meinung, dass sich das „Phänomen“ SED-PDS irgendwann von selbst erledigt. Das ist aus Sicht einer westdeutschen politischen Sozialisierung nachvollziehbar, verkennt aber den Umstand, dass wir seit 1990 wieder gesamtdeutsch denken müssen. 1933 bis etwa 1990/95 müssen wir als politischen Ausnahmezustand für die SPD bewerten. Die Fehler der Ebert-SPD seit der verkorksten Revolution 1918 hatten das linke Lager durch Autoaggression politisch gelähmt und so Deutschland fast wehrlos dem Faschismus ausgeliefert.
Nach fast 25 Jahren deutscher Wiedervereinigung ist nun die Zeit reif, dass auch die gesamtdeut-schen Linken der SPD (Mehrheits-SPD) und der Linken (Minderheits-SPD) über eine freie Wiedervereinigung nachdenken.
Wir von der Mehrheits-SPD werden als Ebert-Schröder-Partei, wie in den 20er Jahren, so lange von unseren davonlaufenden Mitgliedern und Wählern gesundgeschrumpft, bis sich der übriggebliebene Rest wieder seiner linken Herkunft erinnert. Diese Katharsis der De-Ebertisierung und Ent-Schröderung ist derzeit im Gange, wird aber durch eine mögliche Große Koalition erheblich behindert und erschwert. Falls diese Koalition mit der CDU zustande kommt, bekommen die Konservativen in der SPD-Führung, die die SPD ja weiter fest im Griff haben, weitere 4 Jahre Zeit, diese Entwicklung zu verhindern. Die Schröder-Leute behindern, ganz im Geiste Eberts, wegen ihres westdeutsch verengten Horizonts die weitere Entwicklung hin zu einer gesamtdeutschen Sozialdemokratie.
Die Minderheits-SPD (Linke) brauchte dagegen die lange Zeit seit der deutschen Wiedervereinigung, um in den politischen Abklingbecken der Parlamente und anderen demokratischen Gremien der Republik ihre SED-Kontamination auf ein unschädliches Maß abzubauen. Eine „Kommunistische Plattform“ unter einer Vorsitzenden Sahra Wagenknecht hätte die SED damals wahrscheinlich genauso nervös gemacht wie heute alle Konservativen. In einer wiedervereinigten SPD wäre sie ein unverzichtbarer Hort der Traditionspflege.
In den nächsten 6 Jahren häufen sich lauter 100jährige Gedenktage, die schmerzhaft an die histori-sche Spaltung der Arbeiterbewegung und ihrer sozialdemokratischen Partei erinnern.
Lasst uns diese lange Zeit der Fehlentscheidungen und spaltungsbedingten, politischen Katastrophen überwinden.

Lasst uns miteinander freundschaftlich reden.
Lasst uns versöhnen.
Lasst und verschwistern.
Lasst uns dann, SPD und Linke, auf Sicht wiedervereinen.
Lasst uns als Symbol einer Einigung die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung z.B. in der von Günter Grass gegründeten August-Bebel-Stiftung aufgehen, um ein Zeichen der Einigkeit zu setzen, damit Name und Werk Eberts die Linke nicht fortwährend spalten möge.

Ebert hat es bestimmt irgendwie gut gemeint, aber das könnte man vielleicht auch von Hindenburg, Pieck und Grotewohl sagen, wenn man das unbedingt wollte.
Die anderen, die Bosse und Genossen der Bosse werden, angstgesteuert, eine SED-Wiedergeburt an die Wand malen und uns so, wie in den 20er Jahren, zu diffamieren trachten. Sie erfinden sicher wieder eine Art Dolchstoß-Legende, in der diesmal aber kein Dolch vorkommt, sondern etwas, das irgendwie der klassischen Moderne entlehnt, mit „Standort Deutschland“ oder „Arbeitsplatzvernichtung“ zu tun hat, theatralischerweise am besten mit beidem. Das sollten wir selbstbewusste, stolze, wiedervereinte Sozialdemokraten zur Kenntnis nehmen und ihnen dann ein kaltes Lächeln schenken, déjà-vu.
Wird aber die Katharsis-Phase, in der wir uns derzeit befinden und durch die wir durch müssen, um Jahre künstlich durch eine Große Koalition verlängert, wird dies weitere, bedeutende Stimmenverluste für uns und weitere, bedeutende Stimmengewinne für die Linke bedeuten. Dann wird die sozialdemokratische Wiedervereinigung zu anderen Bedingungen oder wegen einer existenzangst-gesteuerten Mehrheits-SPD gar nicht stattfinden. Die vielen Feinde der Sozialdemokratie werden triumphieren ob so viel Dummheit.
Merke: Gedankt hat man es uns Sozialdemokraten nie, wenn wir staatstragend uns selbst und unsere Ziele verleugnet haben, zugunsten vermeintlich höherer, nationaler Interessen. Wir waren immer dann erfolgreich, wenn wir, ganz im Gegenteil und ganz egoistisch, unsere Werte selbstbewusst gegen alle gönnerhaften Warnungen und Anfeindungen einfach durchgesetzt haben, verbündet mit unserer Klientel, den kleinen Leuten und der wahren Intelligenz. Dies war zum Wohl der Partei, dem unserer Anhänger und auch dem des ganzen Landes.

8) Empfehlung zur Mitgliederbefragung
Nach 1918 wurde die SPD für einen Dolchstoß verantwortlich gemacht, den die Völkischen und Konservativen frei erfunden hatten, um ihre historische NIederlage der SPD in die Schuhe zu schieben, ihre Schuld zu vertuschen und die neuen Kraft der Nach-Kaiserzeit zu diskreditieren. Ebert hat das gewusst, aber trotzdem um der Macht Willen mitgespielt.
Das wird sich heute auch wieder so entwickeln, wenn wir, wie von 2005-2009, erneut mit den Kon-servativen kohabitieren. Ihnen ist es damals gelungen, für Erfolge der Regierungspolitik sich selbst, für Nachteile die SPD verantwortlich zu machen. Das Muster ist immer das gleiche. Nur eine SPD Ebert’schen Habitusses geht den Konservativen unverbesserlich und aus übergeordneten Gründen immer wieder auf den Leim. Ausnahme war nur Willy Brandt, der das Format hatte, die Große Koalition 1966-1969 als Basis für einen Machtwechsel zu nutzen.
So lange keine Gestalt vom Format Brandts erkennbar ist, kann nur ein klarer und schneller Politik-wechsel, getragen von der SPD-Basis, die SPD wieder zur Volkspartei machen und ihr Absinken auf das Niveau einer byzantinischen Politsekte verhindern. Dazu müssen die Lordsiegelbewahrer der Schröder‘schen Sozialpolitik endlich gestürzt und eine Versöhnung mit den Linken eingeleitet wer-den. Das gelingt aber nur mithilfe fortschrittlicher Funktionäre auf Kreis- und Landesebene und mit einer SPD-Basis, die bereit ist, ihre verdammte Lethargie aufzugeben, die bereit ist, aus dem Koma zu erwachen, die bereit ist, sich von ihrer Politikverdrossenheit zu verabschieden und die bereit ist, sich verdammt nochmal persönlich einzubringen. Die Chance ist jetzt da, jetzt oder nie.

Ein „Nein“ bei der Mitgliederbefragung zur großen Koalition im Dezember 2013 ist die Chance für einen Politikneuanfang, für eine SPD 3.0, egal was da letztlich bei den Verhandlungen mit Rechten herausgekommen ist.


Uwe Lutz
ist zurzeit noch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD Berlin, Steglitz-Zehlendorf

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